In den Hallen der Dresdner Messe drängten sich zur KarriereStart die Besucher. Aus- und Weiterbildung stehen hoch im Kurs, Arbeitskräfte fehlen fast überall. Andererseits, so schätzte proDresden-Vorstand Dr. Egbert Röhm ein, verließen 2021 rund 47.000 Jugendliche die Schule ohne Abschluss. „Es folgt die typische Nichtkarriere: Helfertätigkeit reiht sich an Helfertätigkeit, alles ohne Zeugnisse.“ Mehr als die Hälfte der Arbeitslosen sind Ungelernte. Aber nur 20 Prozent der offenen Stellen richten sich an Helfer. Damit gab es im vergangenen Jahr in Dresden 7,3 Bewerber für eine freie Stelle. Bei den Fachkräften sehe das völlig anders aus.
Doch es gibt auch andere Probleme. „14 Millionen Menschen arbeiten in Deutschland in Berufen, die sie nicht gelernt haben. 7 Millionen sind ohne beruflichen Abschluss tätig“, erläuterte Dr. Thomas Hesse von der IHK Dresden. Sie alle verfügen über reichlich Berufserfahrungen. Als Beispiel führte er eine Frau an, die seit 15 Jahren als Chefsekretärin tätig ist, aber keinen entsprechenden Abschluss hat. Das konnte sie nun nachholen.
ValiKom Transfer heißt dafür das Zauberwort. Dieses Pilotprojekt stand beim diesjährigen Unternehmerfrühstück, zu dem der Wirtschaftsverein proDresden e. V. gemeinsam mit der Landeshauptstadt und in Kooperation mit der ORTEC-Messe eingeladen hatten, im Mittelpunkt. IHK-Geschäftsführer Bildung Torsten Köhler und Dr. Thomas Hesse, der bei der IHK für ValiKom Transfer verantwortlich ist, stellten es vor.
Die Bewerber müssen mindestens 25 Jahre alt sein, fünf Jahre den entsprechenden Beruf ausgeübt haben und dies nachweisen. Das führen sie zunächst in einem ausführlichen Selbstauskunftsbogen aus und holen fehlende Kenntnisse nach. Der Prozess sei anstrengend, dauert durchschnittlich sechs bis sieben Monate, geschenkt werde den Bewerbern nichts. Erfahrene Bewerter stellen ihnen dann fundierte Fragen, bei denen sie Ihr Können unter Beweis stellen müssen. Anschließend erfolgt ein praktischer Termin im Unternehmen.
Ein Koch beispielsweise muss zunächst ein Drei-Gang-Menü kalkulieren. Anschließend kocht er es im Restaurant Alberthafen und wird wie bei der regulären Berufsausbildung bewertet. Geht alles gut, erhält er am Ende ein Zertifikat, in dem die volle oder teilweise Gleichwertigkeit des Berufs bestätigt wird.
Zum Unternehmerfrühstück sprach Teilnehmerin Julia Gühne von ihren Erfahrungen: „Ich hatte in einer Apotheke gelernt, aber dort nie gearbeitet. Dann war ich elf Jahre als Kauffrau in einem Handwerksbetrieb tätig, zuletzt habe ich den Bürokomplex geleitet.“ Doch sie wollte sich beruflich verändern. „Aber ohne Abschluss erhielt ich nur Absagen“, sagte sie. Bei mehreren Treffen mit Dr. Hesse habe sie sich vorbereitet. „Geschäftsbriefe konnte sie blind schreiben, aber wir haben ihr Hinweise zum Personalmanagement gegeben.“ Julia Gühne befasste sich mit dem Bundesreisegesetz. Wie müssen Dienstreisen vorbereitet und Reisekosten sachlich, fachlich abgerechnet werden? Bei einem achtstündigen Prüfungstag konnte sie schließlich alle Fragen beantworten und erhielt am Ende das Zertifikat als Kauffrau für Büromanagement. „Nach der Validierung habe ich viele Einladungen zu Vorstellungsgesprächen erhalten und hatte am Ende die Qual der Wahl“, erzählte die junge Frau den Teilnehmern vom Unternehmerfrühstück.
Der Validierungsprozess geht auf eine EU-Ratsempfehlung von 2012 zurück. In einigen EU-Ländern ist er bereits gesetzlich verankert. In Deutschland haben das Bundesministerium für Bildung und Forschung gemeinsam mit Industrie- und Handwerkskammern 2015 mit Pilotprojekten begonnen. Seit November 2021 bis Ende Oktober 2024 läuft nun die dritte Phase. „Am Ende soll ValiKom im deutschen Bildungsgesetz verankert werden und aus der ungelernten Fachkraft eine qualifizierte Fachkraft mit Abschluss werden“, sagte Köhler.
Rund 330 Berufe werden derzeit in Deutschland ausgebildet. Vorerst ermöglichen IHK und HWK die Validierung für 32 Berufe. 1.800 derartige Prüfungsverfahren sind bisher in Deutschland erfolgt, mehr als 300 bei der IHK Sachsen. Das größte Interesse konzentriert sich auf die Berufe: Kaufmann/frau für Büromanagement, Verkäufer/in und Kaufmann/frau im Einzelhandel sowie Lagerist und Fachkraft für Lagerlogistik.
Ein Großauftrag kam von der Prinovis-Druckerei. Weil der Standort mit 470 Mitarbeitern schließen muss, rief die Personalchefin an, um für einen Teil der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die fachlichen Nachweise zu bekommen. Die Zertifikate gaben den Arbeitnehmern bessere Chancen bei der Arbeitssuche und damit bei der materiellen Eingruppierung.
ValiKom sei nicht nur für die Betroffenen bedeutsam, für die sich die Türen zu Aufstiegsmöglichkeiten öffnen, sondern auch für die Unternehmen. „Es stärkt die Bindungskraft an das eigene Unternehmen. Die Arbeitgeber finden schneller gesuchte Mitarbeiter“, erläuterte Torsten Köhler die Vorzüge.
Bis zum Herbst 2024 übernimmt der Bund die Kosten für das Validierungsverfahren. Danach werde der nachträgliche Prüfungsprozess 800 bis 1.000 Euro kosten.